Typisch römisch

Beitragsbild Typisch römisch

Endlich bin ich wieder in meinem geliebten Rom. Nach zweieinhalb Jahren, in denen einer meiner üblichen kurzen „Abstecher“ in meine Ex-Wahlheimat wegen der Pandemie kaum möglich war.

Aber jetzt bin ich da und voller Vorfreude. Vor mir liegen 4 herrliche Wochen, in denen ich meine alten Freunde treffe, meine Lieblingsplätze besuche, ein typisch römisches Frühstück im Stehen in der Bar zu mir nehme und mich dabei mit völlig fremden Menschen über Fußballergebnisse, Politik und das Wetter unterhalte. 4 wunderbare Wochen, in denen ich auch arbeiten werde: Ein neues Buch soll entstehen. Ich werde es in der Hängematte liegend schreiben, die sich unter einem schattigen Baum im Garten einer befreundeten Familie befindet, die mir für die nächsten vier Wochen ihre Wohnung zur Verfügung gestellt haben.

Che vita bellissima! Was für ein herrliches Leben!

Gleich heute will ich mir Tickets für die öffentlichen Verkehrsmittel organisieren. Normalerweise kaufe ich immer eine Wochenkarte für 24,00 Euro, weil ich selten länger als 7 Tage in der Stadt bin. Aber dieses Mal…

Also gehe ich zum nächsten Tabacchaio, der auch Biglietti Atac, also Fahrkarten der öffentlichen Linie verkauft und frage nach einer Monatskarte. Ja, die gäbe es, antwortet er prompt. Allerdings bräuchte ich dafür eine „tessera“, also eine personalisierte Karte, auf die man den Betrag immer dann auflädt, wenn man eine Monatskarte lösen möchte. Tolles System, das gefällt mir. Zumal diese 4-wöchige Karte überhaupt nur 35,00 Euro kostet!

„Va bene“, sage ich, „mi dia questa tessera, per favore” – dann geben Sie mir bitte so eine Karte. Das ginge leider nicht, erfahre ich, denn die tessera gäbe es nur bei einer Atac Verkaufsstelle. Auf meine Frage, wo ich eine solche finden kann, bekomme ich die lapidare Antwort, dass es sie vermutlich bei einigen U-Bahnstationen gäbe, aber Genaueres weiß man nicht.

Als „gelernte Römerin“ denke ich mir gleich, dass ich am besten zur Stazione Termini fahre, dem Hauptbahnhof der Ewigen Stadt, denn dort befindet sich nicht nur die Eisenbahn, sondern auch der Hauptverkehrsknotenpunkt der Öffis.

Am riesigen Busterminal vor dem Bahnhof angekommen frage ich 3 Busfahrer, die gemütlich zwischen zwei Fahrten zusammenstehen und sich über die Fussballergebnisse, Politik und das Wetter unterhalten, nach dem „Punto Atac“, also der Verkaufsstelle für die Fahrkarten. „Die ist gleich in der grünen Hütte da vorne“ meint einer der drei Atac-Angestellten. Na, das geht ja einfach, denke ich mir. Früher war immer alles mega kompliziert und vieles nur nach mehreren Anläufen machbar. Und heute…

Also nix wie auf zur grünen Hütte.

Aber so einfach geht es dann wohl doch nicht. Kaum stehe ich vor dem Kiosk sehe ich, dass es hier nur Informationen gibt, aber keine Tickets. Ist aber eh völlig egal, weil der Laden sowieso nicht personell besetzt – und zudem überhaupt geschlossen ist.

Non c’è problema, mach ich mich halt auf die Suche. Ich bin ja quasi auf Urlaub und habe alle Zeit der Welt. Irgendwo muss diese Verkaufsstelle doch sein. Also grase ich den ganzen Bahnhof ab – ohne Erfolg. Eine Etage unter dem Bahnhof gibt noch eine große Shoppingmeile. Ich laufe sie rauf und runter, schau in jede Ecke und finde jede Spinnwebe – nur nicht den Punto Atac. Was soll´s, denke ich mir, dann versuche ich es halt noch einen Stock tiefer. Dort, wo es zu den U-Bahnen geht, die rund 30 Meter unter dem Straßenniveau fahren.

Und siehe da, im hintersten dunklen Winkel versteckt, sehe ich eine laaange Menschenschlange. Bingo! Ich weiß sofort: Ich habe mein Ziel gefunden.

Nach etwa einer halben Stunde in der Schlange bin ich endlich dran und verlange eine „tessera mensile“. Die Frau hinter der Plexiglaswand fragt mich, ob ich das „Modulo“ schon ausgefüllt hätte. Welches Formular? Na den Antrag für die „tessera“ halt. Und schon schiebt sie mir das entsprechende Papier durch die kleine Öffnung für das Wechselgeld durch. Dabei erklärt sie mir, dass ich zusammen mit dem ausgefüllten Antragsformular auch die Kopie eines Dokuments bei ihr abgeben müsse, um die Monatskarte zu bekommen.

Che cavolo! Alles umsonst, denn erstens hab ich meinen Pass nicht dabei und zweitens stellt sich die Frage, wo ich am Bahnhof eine Fotokopie kriege, denn Copyshop gibt es hier keinen.

Typisch Rom, denke ich mir. Jetzt weiß ich wieder, warum ich nicht mehr in dieser Stadt lebe. Unter anderem wegen der Hindernisse, die immer dann auftauchen, wenn du sie am wenigsten erwartest. Jetzt bin ich schon über 2 Stunden unterwegs, um schlussendlich knapp vorm Ziel zu scheitern.

In meinem Ärger sage ich das alles laut. Die nette Dame hinter dem Schalter versteht mich und meint, dass sie auch meinen Führerschein akzeptieren würde, und dass ich wegen der Kopie des Dokuments mal oben in der Buchhandlung fragen sollte. Wenn ich dort verzweifelt genug auftrete, würde man mir sicher helfen.

Also mache ich mich auf die Suche nach jenen, die sich meiner erbarmen. Zum Glück habe ich eine gewisse Affinität zu Büchern – und finde die Libreria deshalb auch rasch in einem der oberen Stockwerke. Ich sehe mich nach einem Roman um, den ich in den nächsten Tagen lesen könnte. Erstens, weil ich sowieso ständig meine Nase in Bücher stecke und zweitens, weil ich davon ausgehe, dass man einer Kundin eher helfen wird, als irgendeinem Bittsteller. Mit meiner neuen Urlaubslektüre gehe ich zur Kassa, setze mein verzweifeltstes Gesicht auf und bitte während des Zahlens gleichzeitig um die dringend benötigte Kopie. Dabei erkläre ich lang und breit meine (mittlerweile seitenfüllende) Geschichte. Nur wenige Augenblicke später verlasse ich freudestrahlend die Buchhandlung: mit einem unterhaltsamen Roman in der einen und der Fotokopie meines Führerscheins in der anderen Hand.

Zurück im Unter-Unter-Untergeschoß stelle ich mich erneut in die Menschentraube (das ist eine Menschenschlange auf Italienisch), die während meiner Abwesenheit noch länger geworden ist. Meine Anspannung steigt und ich beschließe: Sollte es jetzt zu neuen Problemen kommen, werde ich diesen Vormittag als „typisch römisch“ abhaken und auf die günstige Monatskarte verzichten.

Entgegen all meiner Erwartungen geht es flott voran, weil mittlerweile ein zweiter Schalter geöffnet wurde. Zu meinem Glück lande ich wieder bei derselben netten Dame von vorhin, die wortlos meine Unterlagen in Empfang nimmt und sofort beginnt, meine Daten in den Computer zu klopfen. Plötzlich höre ich sie in gebrochenem Deutsch sagen: „Wie ist es denn jetzt in Wien?“ Die Tatsache, dass die Atac Mitarbeiterin mit mir plaudern möchte, interpretiere ich als positives Zeichen und antworte ihr enthusiastisch. Ich erzähle ihr von den letzten Fußballergebnissen, der Politik und dem Wetter. Sie berichtet mir ihrerseits, dass sie 2 Jahre in Wien gelebt und dort für ein japanisches Unternehmen gearbeitet habe. Da ihr Japanisch viel besser ist als ihr Deutsch führen wir das Gespräch auf Italienisch. Ist auch für mich viel leichter als Japanisch .

Wir plaudern etwa eine halbe Stunde, kommen vom Hundertste ins Tausendste und stellen fest, dass wir sogar gemeinsame Bekannte in Rom haben. Und während die Warteschlange hinter uns wächst und wächst, tauschen wir in aller Seelenruhe unsere Telefonnummern aus und verabreden uns auf einen „Aperitivo“ in den nächsten Tagen, um dann (ohne murrende Menge im Hintergrund) in Ruhe weiterzuplaudern.

Was für ein wunderbarer Vormittag, denke ich, als ich mit der Monatskarte in der Tasche die finstere Location im Unter-Unter-Untergeschoss verlasse. Einfach „typisch römisch“. 

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